"In der heutigen Zeit sind die unnötigen Dinge unbedingt notwendig"
(unbekannter Verfasser)
Diese kalligrafischen Bilder, die man als graphische Partituren bezeichnen könnte, schuf Agnes Ponizil als Ferientagebuch im Winter 2016.
Ein konzentrierter künstlerischer Ausdruck im knapp bemessen Zeitfenster des Familien-Alltags. Quasi im Vorübergehen:
Im Zeitmaß zweimal einer halben Stunde, mit klarer Intension, entstehen diese Bilder: Zuerst der strukturierte Goldgrund: diagonale _ horizontal- vertikal_ Viereck_ Kreis.... Im zweiten Schritt entsteht die graphische Notation mit Fineliner: getupfte Noten als improvisatorisch umsetzbare Partitur und als visuelles Objekt.
'Visible Music' — 'Sichtbare Musik' — 'Sicht-Ohr und Hör-Auge'
Soweit zum visuellen.
...
Wie kann man eine graphische Partitur umsetzen? Hat eine solche Kompositionen Werk-Charakter oder ist es eher eine Improvisation?
Diese Fragen stellte man mir während meines Studiums 1987–1992.
1992 hatte ich die Gelegenheit einer Reise nach Brasilien: Erasmus-Studenten aus Novo Hamburgo wohnten ein Vierteljahr in unserer WG im besetzten Haus, wir waren nun zum Gegenbesuch nach Brasilien eingeladen.
Die Reise begann vor Weihnachten und endete zu Karneval in Rio. Für eine junge Studentin aus dem Osten ein beeindruckendes, gewaltiges und etwas beängstigendes Szenario.
Bei einer Busfahrt von 36 Stunden Dauer erlebte ich, dass das Interieur des Fernbusses durchaus als Samba-Instrument genutzt werden kann! Ein Fahrgast fing an, ein musikalisches Motiv auf die Innenverkleidung des Busses zu trommeln – die anderen stimmten ohne weitere Absprachen mit anderen musikalischen Figuren auf ungepolsterten Armlehnen, mit Löffeln und Brotbüchsen mit ein.
Die Kraft dieser improvisierten Autobus-Samba hat mich mitgerissen. Der Eindruck hält bis heute – 25 Jahre später.
Meine Erkenntnisse dieser Reise: jeder Alltagsgegenstand kann instrumentalisiert werden!
Diese musikalisch-kalligrafischen Bilder laden ein, motivische und freie Improvisation miteinander zu verbinden und Alltagsgegenstände in einem "Upcycling" als Instrumente umzuwerten, auf eine Reise der Klangforschung und des Klangerlebnis zu gehen.
Vorbilder sind dabei die kompositorischen Denkansätze von John Cage und die Praxis des "Instant Composing" welche ich durch John Zorn in der Knitting Factory (New York) erlebte.
Das musikalische Erlebnis der Autobus-live-Samba hat hat damals die quälend lange Fahrt vergoldet.
Ich würde mich freuen, mit diesen Kalkigrafien andere Menschen anzuregen, den Alltag zu musikalisieren.
Agnes Ponizil. Sommer 2016
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